Nachgefragt: Was ist eigentlich …?

Blut-Hirn-Schranke, antimikrobielle Resistenzen, Real-World-Evidence – was sich dahinter verbirgt, erschließt sich nicht jedem Menschen auf den ersten Blick, betrifft aber sehr viele. Unter dem Titel „Nachgefragt“ beantworten Fachleute aus forschenden Pharma-Unternehmen jeweils drei Fragen. Dabei erläutern sie nicht nur die Begriffe. Sie geben auch Einblick in den neuesten Stand der Forschung in diesem Bereich und erklären, was die Erkenntnisse für das tägliche Leben bedeuten.

Was bedeutet „Real-World Evidence“ in der Pharmaforschung?

Interview mit:
Dr. Gunnar Steinert
Eisai Deutschland


“Real-World Evidence“ – ist das ein neues Reality-TV-Format?

Reality-TV? – Ja, genau. Die Real-World-Evidence-Forschung ist das Reality-TV des Behandlungsalltags. Sie beobachtet, wie sich das zugelassene Medikament im „richtigen Leben“ von Patient:innen bewährt.

Reichen dafür nicht die klinischen Studien, die vor der Zulassung eines Medikaments gemacht werden?

Diese Studien untersuchen mit engem Fokus auf die jeweils ausgewählte Erkrankung, ob das Medikament sicher und wirksam ist und ob es im Vergleich zu bisherigen Therapien einen Mehrwert bringt. Nach Zulassung sollte das Medikament allen Patient:innen zur Verfügung gestellt werden. Sicherheit und Wirksamkeit muss bei den Patient:innen, die in der Realität behandelt werden, genau beobachtet werden. Es kann auch der Fall auftreten, dass Patient:innen zusätzliche Begleiterkrankungen, wie Diabetes und Nierenschäden aufweisen. Hier kommt die Real-World-Evidence-Forschung ins Spiel.

Und was machen Sie in der Real-World-Evidence-Forschung?

Zusammen mit meinem Team habe ich zum Beispiel eine Real-World-Evidence-Studie mit 205 Patient:innen in Deutschland und Österreich unterstützt, bei der wir die Sicherheit und Wirksamkeit eines bestimmten Krebsmedikaments noch einmal viel umfassender bestätigen konnten. Manche der Patienten hatten zusätzliche und verschiedene Begleiterkrankungen, weshalb sie an einer normalen Zulassungsstudie nicht hätten teilnehmen können. Es war ein Riesenerfolg der Real-World-Evidence-Forschung, zu zeigen, dass das Medikament auch bei diesen Patienten sicher und wirksam ist. Wir wollen schließlich, dass es den Patienten mit unseren Medikamenten besser geht.


Was sind eigentlich Biopharmazeutika?

Interview mit:
Carolin Venus von Amgen Deutschland


Biopharmazeutika – was ist damit gemeint?

Das „Bio“ am Anfang signalisiert es schon: Wir nutzen für die Herstellung von Biopharmazeutika lebende Zellen wie Hefen, Bakterien oder tierische Zellen. Diese Zellen dienen als Mini-Fabriken, die komplexe Proteine produzieren. Diese Proteine sind in Biopharmazeutika wie zum Beispiel Insulin oder Krebsantikörpern enthalten. Es handelt sich bei Biopharmazeutika also um Medikamente, die biotechnologisch hergestellt werden.

Wie funktioniert das?

Das passiert in mehreren Schritten: Zunächst bereiten wir die Zellen so vor, dass sie als Mini-Fabriken das Protein produzieren können. Danach wird im Labor das Gen, das das Protein produziert, in die Zelle eingefügt. Die Zellkulturen werden zunächst in kleineren Behältnissen und dann in großen Behältern vermehrt. Wichtig ist dabei auch, dass wir die Zellkulturen gut füttern, damit sie das Protein produzieren können. Wir nutzen also gezielt biotechnologische Methoden, um Biopharmazeutika herzustellen. Danach muss das Protein gereinigt werden. Erst dann kann es in Injektionslösungen abgefüllt werden und in der Klinik oder in der Apotheke den Patientinnen oder Patienten verabreicht werden.

Und wofür sind Biopharmazeutika gut?

Viele Therapien wären ohne Biopharmazeutika heute undenkbar. Sie können zum Beispiel Stoffe ersetzen, die Erkrankten fehlen – wie Hormone oder Enzyme. Oder sie können eingreifen, wenn Zellen fehlgesteuert sind. Wieder andere Biopharmazeutika bekämpfen Bakterien oder Viren. Sie gehören daher zu den wichtigsten Behandlungsoptionen für Patientinnen und Patienten mit schweren Erkrankungen wie Krebs oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Schon fast die Hälfte aller neu zugelassenen Medikamente sind heute Biopharmazeutika.


Warum sind resistente Keime so gefährlich?

Interview mit:
Caroline Schweizer von Pfizer Deutschland


Was sind eigentlich Keime? Und warum sollten sie besser nicht resistent sein?

Zunächst einmal: Mit Keimen, damit meinen wir ganz oft Bakterien. Und Bakterien an sich sind gar nichts Schlimmes. Ganz im Gegenteil: Sie helfen uns bei vielen körpereigenen Prozessen. Zum Beispiel bei der Verdauung oder beim Immunsystem. Manchmal können Bakterien jedoch auch Infektionen hervorrufen, zum Beispiel eine Lungenentzündung. Und dann sind die Betroffenen davon abhängig, dass diese Bakterien mit Antibiotika behandelt werden. Inzwischen widerstehen jedoch einige Bakterien dieser antibiotischen Behandlung – das heißt, sie sind resistent. Und das Problem hierbei ist: Je resistenter ein Bakterium ist, desto weniger verfügbare Behandlungsoptionen gibt es.


Was bedeutet das für uns?

Es existieren bereits Erregerstämme, die nicht nur gegen ein Antibiotikum, sondern bereits gegen mehrere Antibiotika resistent sind. Ist fast keins der gängigen Antibiotika mehr wirksam, dann spricht man von multiresistenten Erregern. Wenn sich diese weiter ausbreiten in der Zukunft, besteht die Gefahr, dass Infektionen, die wir heute noch sehr gut behandeln können, zukünftig lebensbedrohlich sein können – zum Beispiel eine Wundinfektion nach einem Fahrradsturz. Die Weltgesundheitsorganisation zählt deshalb schon heute antimikrobielle Resistenzen, kurz AMR, zu einer der zehn größten Gesundheitsbedrohungen weltweit.


Können wir denn die Ausbreitung resistenter Keime vermeiden?

Ja, auf jeden Fall. Denn wir alle können unseren Beitrag dazu leisten, dass Antibiotika nur dann eingesetzt werden, wenn sie auch wirklich benötigt werden. Das heißt möglichst sparsam und zielgerichtet und beispielsweise nicht bei einer Erkältung, die oft durch Viren und gar nicht durch Bakterien hervorgerufen wird. Noch besser ist es natürlich, wenn Infektionen gar nicht erst entstehen. Dabei helfen Impfungen – oder ganz einfach regelmäßiges Händewaschen. Und weltweit müssen Forschende in Unternehmen und wissenschaftlichen Forschungseinrichtungen gemeinsam daran arbeiten, die Entwicklung neuer Antibiotika möglichst schnell voranzutreiben. Hierfür braucht es auch Politik, denn dieser Herausforderung können wir nur alle gemeinsam begegnen.


Was ist eine Blut-Hirn-Schranke?

Interview mit:
Dr. Christian Ried von Abbvie Deutschland


„Blut-Hirn-Schranke“ – noch nie gehört? Damit seid ihr nicht allein.

Die Blut-Hirn-Schranke ist sozusagen die Türsteherin des Gehirns – eine kaum durchlässige Barriere. Schädliche Substanzen aus dem Blutstrom können unser Gehirn dank ihr nicht erreichen. Hätten wir die Blut-Hirn-Schranke nicht, könnte uns jeder Schnupfen ins Krankenhaus bringen.


Wichtig ist die Blut-Hirn-Schranke etwa für die Erforschung von Alzheimer-Medikamenten: Diese sollen im Gehirn wirken. Aber …

Aber auch bei Medikamenten sagt die Blut-Hirn-Schranke: Stopp! Was also tun? Entweder muss der Wirkstoff angepasst werden, oder man muss ihm das richtige Outfit verpassen, damit er an der Türsteherin vorbeikommt.


Um Wirkstoffe gegen Krankheiten wie Alzheimer zu entwickeln, muss die Forschung also möglichst gut über die Blut-Hirn-Schranke Bescheid wissen.

Neulich hat ein Forscherteam experimentell zeigen können, dass die Türsteherin mit dem Alter nachlässiger wird. Vielleicht ein Grund dafür, dass neurologische Erkrankungen vor allem im fortschreitenden Alter auftreten? Erkenntnisse wie diese sind neue Ansatzpunkte für die Forschung.